Verfasser: AG Prävention (Julian Resch), Lesezeit 3 Minuten
Teil 1 der Serie zum Nachlesen
Körperliche Aktivität verstehen und fördern – eine zentrale Aufgabe für Physios
Regelmäßige körperliche Aktivität gilt als Schlüssel zu besserer Gesundheit, höherer Lebensqualität und einer längeren Lebenserwartung. Dennoch bewegt sich ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland zu wenig – mit weitreichenden Folgen für die öffentliche Gesundheit. Laut Bundesgesundheitssurvey erfüllen nur etwa 40 % der Erwachsenen die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Besonders betroffen sind auch ältere Menschen und sozial benachteiligte Gruppen1.
Bewegungsmangel ist dabei nicht nur eine individuelle Gesundheitsfrage, sondern zeigt sich z.B. auch in steigenden Fallzahlen muskuloskelettaler Beschwerden und chronischer Erkrankungen – beides Themen, mit denen wir täglich konfrontiert sind.
Was bedeutet das für die physiotherapeutische Praxis?
Physiotherapeut*innen begegnen täglich Menschen mit Bewegungsmangel, sei es in der Reha, im Hausbesuch oder im Präventionskurs. Physiotherapeut*innen sind laut World Physiotherapy ausgewiesene Expert*innen für körperliche Aktivität2. Sie erkennen Bewegungsmangel und fördern Bewegung individuell und zielgerichtet. Sie befähigen Menschen, mehr Bewegung in ihren Alltag zu integrieren. Die Physiotherapie besitzt ein großes Potenzial, körperliche Aktivität bei Patient*innen nachhaltig zu fördern.
Was ist körperliche Aktivität überhaupt?
Um Bewegung zu fördern, müssen wir sie zunächst klar verstehen. Caspersen et al.3 definieren körperliche Aktivität als
„jede körperliche Bewegung, die durch Skelettmuskulatur erzeugt wird und zu einem Energieverbrauch über dem Ruhewert führt.“ (frei übersetzt)
Die Definition ist bewusst weit gefasst. Bewegung ist nicht nur gezieltes Training oder Sport. Auch Alltagsbewegungen wie Gehen, Radfahren, Haus- oder Gartenarbeit zählen als körperliche Aktivität. Das öffnet den Blick auf verschiedene Formen von Bewegung. So ist es besonders wichtig zu verstehen, dass jede Bewegung zählt – es ist nicht nur der Sport und das Training, welche unsere Patient*innen voranbringen.
Leichte, moderate und intensive körperliche Aktivität
Um körperliche Aktivität besser einordnen zu können, wird häufig die Einheit MET (Metabolic Equivalent of Task) verwendet. Ein MET beschreibt den Energieverbrauch im Vergleich zum Ruheumsatz.
- Leichte körperliche Aktivität: < 3 METs (z.B. langsames Gehen, Hausarbeit)
- Moderate körperliche Aktivität: 3-6 METs (z.B. zügiges Gehen, Fahrradfahren)
- Intensive körperliche Aktivität: > 6 METs (z.B. Joggen, schnelles Radfahren)
Diese Klassifikation ist hilfreich, um Bewegungsempfehlungen zu formulieren und Vergleiche zu ziehen. Doch ist Intensität alles was zählt? Ist körperliche Aktivität nicht mehr als nur ihr Energieverbrauch?
Ein neuer Blick auf körperliche Aktivität
So praktisch und weit verbreitet die Definition von Caspersen und Kollegen auch ist – sie bleibt dem biomedizinischen Denken verhaftet. Sie betrachtet körperliche Aktivität als reine Muskelarbeit mit kalorischem Output.
Joe Piggin schlägt 2020 eine erweiterte Perspektive vor. Für ihn gilt4:
„Körperliche Aktivität umfasst das Bewegen, Handeln und Sich-Ausdrücken von Menschen im Kontext ihrer kulturellen Umgebung und ist geprägt von persönlichen Motiven, Emotionen, Gedanken, Anleitungen und Beziehungen.“ (frei übersetzt)
Piggin kritisiert, dass die medizinische Sichtweise Aspekte wie Freude, Ausdruck, soziale Teilhabe oder kulturelle Bedeutung ausblendet. Bewegst du dich wirklich nur, weil du Kalorien verbrennen möchtest? Bewegung ist für viele Menschen mehr als „nur“ zum Abnehmen oder um die Gesundheit zu fördern – sie tanzen, spielen, wandern oder trainieren aus ganz unterschiedlichen, oft emotionalen oder gemeinschaftlichen Motiven.
Die Frage „Wie fördern wir Bewegung in unseren Patient*innen?“ lässt sich nicht allein mit der Erklärung von einem empfohlenen Mindestmaß an MET-Minuten beantworten. Auch wenn diese nützlich sind, um messbare Ziele zu setzen, sollten wir Bewegung als ganzheitliches Konzept verstehen. Wer tanzt, spielt oder mit anderen gemeinsam aktiv ist, bewegt sich nicht nur körperlich – sondern auch sozial und emotional. Und vielleicht liegt genau darin der Schlüssel zu mehr Bewegung in der Gesellschaft: Bewegung soll sich gut anfühlen, Sinn stiften und zur Lebenswelt der Patient*innen passen.
Aktuelle Konzeptangebote für mehr Bewegung finden Sie hier.
1Robert Koch-Institut. Bewegungsverhalten (ab 18 Jahre). Gesundheitsberichterstattung des Bundes. 2024. Verfügbar auf https://gbe.rki.de
2World Physiotherapy. Physical therapists as exercise and physical activity experts across the life span: Policy statement. Verfügbar auf https://world.physio/policy/ps-exercise-experts
3Caspersen CJ, Powell KE, Christenson GM. Physical activity, exercise, and physical fitness: definitions and distinctions for health-related research. Public Health Rep. 1985;100(2):126-131.
4Piggin J. What Is Physical Activity? A Holistic Definition for Teachers, Researchers and Policy Makers. Frontiers in Sports and Active Living. 2020;Volume 2 - 2020. doi:10.3389/fspor.2020.00072
20.06.2025